Call for Papers
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch im nächsten Jahr findet die Assistentinnen- und Assistententagung im Arbeitsrecht statt – mit einer kleinen Änderung: Wie wir Euch bereits angekündigt haben, halten wir eine Neubenennung des Formats für zeitgemäß und wollen Euch deshalb hiermit einladen zur
12. Tagung Junge Arbeitsrechtswissenschaft (ehem. Assistentinnen- und Assistententagung im Arbeitsrecht), vom 20. bis 22. Juli 2023 in Bayreuth.
Auf die „süddeutsche Doppelspitze“ der vergangenen Tagung folgt 2023 eine fränkische Kooperation zwischen Bayreuth (Alexander Schmidt) und Würzburg (Lorenz Fischer). Die Tagung steht unter dem Generalthema:
Arbeitsrecht als geronnenes Verfassungsrecht?
Im Zentrum der Tagung sollen wie gewohnt die bis zu 30-minütigen Vorträge aus dem Kreis des wissenschaftlichen Nachwuchses stehen. Darüber hinaus wird es wieder ausführlich Gelegenheit zum fachlichen und persönlichen Austausch geben. Wir laden Euch herzlich dazu ein, Euch für ein Referat zu bewerben! Schickt uns dazu bitte
bis zum 3. März 2023
ein kurzes Exposé an die Adresse tjar2023@uni-bayreuth.de.
Die Schriftfassung der Vorträge wird in einem Tagungsband veröffentlicht, der im Nomos Verlag erscheint. Reise- und Übernachtungskosten der Referentinnen und Referenten werden selbstverständlich übernommen.
Inhaltlich sollen sich die Beiträge dem Generalthema der Tagung widmen. Der Ausdruck vom "geronnenen Verfassungsrecht" wird typischerweise im Strafprozessrecht verwendet, um zu verdeutlichen, dass hier wesentliche Teile des einfachen Gesetzesrechts Ausdruck höherrangiger verfassungsrechtlicher Vorgaben sind (Jahn JuS 2005, 1057 ff.). Wir meinen, diese Metapher beschreibt auch unsere heutige Arbeitsrechtsordnung sehr treffend. In der Literatur ist das Bild unlängst für das Arbeitskampfrecht aufgegriffen worden (Stoffels ZfA 2022, 201 (203)). hier ist der Einfluss der Verfassung auf das einfache Recht besonders gut zu erkennen. Letztlich handelt es sich aber um ein allgemeines Phänomen:
Eine strikte Trennung zwischen Verfassung und Privatrecht besteht hierzulande bereits seit der Lüth-Entscheidung des BVerfG nicht mehr. Schon das nationale Verfassungsrecht überlagert daher wichtige Bereiche unseres Arbeitsrechts. Das liegt zuvorderst an den Grundrechten, die als Über- und Untermaßverbote auf unsere Rechtsordnung einwirken und hierdurch gesetzgeberische Gestaltungsmöglichkeiten begrenzen. Die Richterin am BVerfG Susanne Baer sprach vor diesem Hintergrund beim diesjährigen Europarechtlichen Symposion am BAG ganz treffend vom Arbeitsrecht als „Grundrechtsschutzrecht“. Beispielhaft genannt seien nur die grundrechtlichen Anforderungen an ein Mindestmaß an Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis, der aus dem APR abgeleitete Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers oder die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung, die der Große Senat des BAG für verfassungsrechtlich geboten hält. Die Meinungsäußerungsfreiheit bestimmt neben dem Whistleblowing etwa auch den Umgang mit politischen Anschauungen im Betrieb. Immer wieder Anlass für Diskussionen bieten – nicht nur im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts – religiös motivierte Konflikte am Arbeitsplatz. Maßnahmen der Pandemiebekämpfung berühren nicht nur den Beschäftigtendatenschutz. Auch die Unverletzlichkeit der Wohnung wird etwa durch die Anordnung von Homeoffice – ganz aktuell besonders vor dem Hintergrund der derzeitigen Energiekrise – auf die Probe gestellt. Ebenso grundlegend wie die umstrittene Frage, ob und inwieweit Tarifverträge an den Grundrechten gemessen werden können, sind schließlich die vielfältigen Ausstrahlungen des Sozialstaatsprinzips aus Art. 28 Abs. 1 GG in das Arbeits- und Sozialrecht.
Doch nicht nur nationales Recht überformt unsere Arbeitsrechtsordnung. Neben das Verfassungsrecht tritt heute eine weitreichende Determinierung durch das übergeordnete supranationale Recht. Auch das Recht der Europäischen Union wirkt über den Anwendungsvorrang quasi-verfassungsrechtlich auf das Arbeitsrecht ein. Hier ist zunächst an die Europäischen Grundrechte zu denken, die schon seit längerem das Diskriminierungsrecht, in jüngerer Zeit aber zunehmend auch das Urlaubs- und Arbeitszeitrecht prägen. Der EuGH hat seine arbeitsrechtliche Grundrechtsjudikatur über die Jahre ausgebaut und dadurch den Einfluss der Unionsgrundrechte sukzessive erweitert. Weil der Solidaritäts-Titel IV der Grundrechtecharta noch eine ganze Vielzahl weiterer spezifischer Arbeitnehmerrechte bereithält, ist nicht davon auszugehen, dass diese Entwicklung bereits abgeschlossen ist. Neben die Unionsgrundrechte treten bekanntlich die Menschenrechte der EMRK, die dem Arbeitsrechtler z.B. in der Diskussion um die Zulässigkeit des Beamtenstreikverbots oder der Verdachtskündigung begegnen. Weiter zu nennen sind die primärrechtlichen Grundfreiheiten der Europäischen Union, deren Bedeutung für das Arbeitsrecht nicht weniger weit reicht. Das belegen die zahlreichen prominenten Grundsatzentscheidungen des EuGH in den letzten Jahrzehnten. Und auch der Einfluss des Sekundärrechts ist erheblich: Insoweit stellen sich zunächst allgemeine methodische Fragen etwa nach der Reichweite des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung. Außerdem ergeben sich durch jüngere Aktivitäten des Unionsgesetzgebers zahlreiche inhaltliche Impulse für das deutsche Recht. Zu nennen sind insoweit beispielsweise der Hinweisgeberschutz auf Basis der RL (EU) 2019/1937, die Arbeitsbedingungenrichtlinie (EU) 2019/1152 und die darauf beruhende Reform des NachwG oder aber die Einführung unionseinheitlicher Mindestlohnregeln mit der RL (EU) 2022/2041.
Die genannten Beispiele verstehen sich nicht als abschließender Themenkatalog. Sie sollen hier vielmehr stellvertretend für das generelle Spannungsverhältnis stehen, das ihnen zugrunde liegt und dem wir uns im Rahmen der Tagung widmen wollen. Auf der einen Seite steht dabei die im Ausgangspunkt begrüßenswerte Bindung des Gesetzgebers an übergeordnete verfassungs- und europarechtliche Vorgaben. Es ist eine Errungenschaft unseres modernen Rechtstaats, dass diese Bindung heute gerade auch im Arbeitsrecht als selbstverständlich gilt. Auf der anderen Seite steht jedoch die Notwendigkeit, politische und damit gesetzgeberische Entscheidungsspielräume zu erhalten. Diese werden durch zwingende Vorgaben des höherrangigen Rechts denknotwendig beschränkt, dürfen dadurch aber nicht gänzlich beseitigt werden. Das wiederum fordern das Demokratie- und das Subsidiaritätsprinzip. Für unser heutiges Arbeitsrecht, das wie kaum ein anderes Rechtsgebiet einem Konstitutionalisierungs- und Europäisierungsprozess unterliegt, ist dieses Spannungsverhältnis geradezu prägend.
Wir freuen wir uns schon sehr auf Eure Exposés und sind gespannt auf Eure Vorträge und Gedanken zu diesem grundlegenden Thema. Für Fragen zu möglichen Vortragsthemen, zum Ablauf der Tagung oder zur Organisation stehen wir Euch jederzeit zur Verfügung. Eine Einladung mit Tagungsprogramm und weiteren Details folgt.
Mit herzlichen Grüßen
Lorenz Fischer und Alexander Schmidt